Einleitung
Die geopolitischen und klimatischen Gegebenheiten der Türkei machen Naturkatastrophen wie Erdbeben und Brände zu einem unvermeidlichen Teil des Lebens. Diese Katastrophen verursachen neben schwerwiegenden menschlichen Verlusten auch verheerende Auswirkungen auf das Vermögen von Einzelpersonen und die Wirtschaft als Ganzes. An diesem Punkt greift der Versicherungsmechanismus als Schutzinstrument ein; er übernimmt eine entscheidende Rolle bei der Schaffung finanzieller Sicherheit und der Beschleunigung des Wiederaufbaus nach einer Katastrophe. Für die Betroffenen ist eine schnelle und faire Regulierung der aus einer Versicherungspolice resultierenden Ansprüche eine grundlegende Notwendigkeit, um ihr Leben wiederaufzubauen.
Dieser Bericht untersucht die Versicherungsanspruchsverfahren, die nach Erdbeben, Bränden und ähnlichen Naturkatastrophen entstehen, aus der Perspektive eines Juristen. Im Lichte der Gesetzgebung, der Lehre und der aktuellen Rechtsprechung wird das Thema mit einem ganzheitlichen Ansatz behandelt. Ziel ist es, die grundlegenden rechtlichen Unterschiede zwischen freiwilligen Sachversicherungen (Wohnung, Betrieb, Feuer usw.) nach dem türkischen Handelsgesetzbuch (TCC) Nr. 6102 und der Zwangs-Erdbebenversicherung (DASK), die im Katastrophenversicherungsgesetz Nr. 6305 geregelt ist, sowie die praktischen Folgen dieser Unterschiede im Schadenfall aufzuzeigen.
Während diese Studie den Versicherungsnehmern helfen soll, ihre Rechte und Pflichten klarer zu erkennen, soll sie zugleich als Referenzquelle für Juristen und Akteure der Versicherungswirtschaft in diesem komplexen Rechtslabyrinth dienen.
Kapitel 1: Die rechtlichen Grundlagen des Versicherungsvertrags und die Pflichten der Parteien (im Rahmen des türkischen Handelsgesetzbuches)
Das rechtliche Fundament aller privaten Versicherungsarten außer der Zwangs-Erdbebenversicherung (DASK) – wie Hausrat-, Feuer- oder Kfz-Versicherung – wird durch das türkische Handelsgesetzbuch Nr. 6102 gebildet. Um die Dynamik des Schadenprozesses korrekt zu verstehen, ist eine eingehende Betrachtung des durch dieses Gesetz gezogenen vertraglichen Rahmens und der gegenseitigen Rechte und Pflichten erforderlich.
1.1. Zustandekommen des Versicherungsvertrags und Hauptpflichten des Versicherers
Der Versicherungsvertrag ist ein Vertrag, bei dem der Versicherer im Gegenzug zur Prämie verpflichtet ist, einen Vermögensschaden des Versicherungsnehmers, der durch den Eintritt einer Gefahr (Risiko) verursacht wird, zu ersetzen oder im Falle bestimmter Ereignisse eine bestimmte Summe zu zahlen. Innerhalb dieses Vertrags sind die Hauptpflichten des Versicherers folgende:
Pflicht zur Ausstellung einer Police
Artikel 1424 TCC schreibt dem Versicherer klar vor: Wird der Vertrag direkt vom Versicherer oder seinem Vertreter abgeschlossen, muss er dem Versicherungsnehmer innerhalb von 24 Stunden, in anderen Fällen innerhalb von 15 Tagen, eine von den zuständigen Personen unterzeichnete Police aushändigen. Diese Police ist das wichtigste Beweismittel; sie enthält die Vertragsbedingungen, die Deckungsgrenzen sowie die Rechte und Pflichten der Parteien. Kommt der Versicherer dieser Pflicht nicht rechtzeitig nach, haftet er für die daraus entstehenden Schäden. Selbst wenn keine Police ausgestellt wird, kann das Bestehen und der Inhalt des Vertrags im Rahmen der allgemeinen Beweisregeln (Zeugen, schriftlicher Beweisanfang usw.) nachgewiesen werden.
Informationspflicht
Eine der wesentlichsten Pflichten des Versicherers ist die Informationspflicht, geregelt in Artikel 1423 TCC. Danach sind der Versicherer und sein Vertreter verpflichtet, den Versicherungsnehmer vor Vertragsschluss und während der Vertragslaufzeit über wesentliche Punkte wie Deckungsumfang, Ausschlüsse, besondere Bedingungen sowie Regeln zur Risiko- und Schadensregulierung klar, verständlich und vollständig zu informieren. Die Beweislast für die ordnungsgemäße Erfüllung dieser Pflicht liegt beim Versicherer. Wird die Informationspflicht verletzt, hat der Versicherungsnehmer das Recht, den Vertrag zu kündigen und Schadensersatz für den dadurch entstandenen Schaden zu verlangen.
Risikotragung und Entschädigungsleistung
Die Hauptleistungspflicht des Versicherers ist die Zahlung des Schadens oder der Summe, die sich aus dem Eintritt des im Vertrag definierten Risikos ergibt. Gemäß Artikel 1409 TCC haftet der Versicherer für Schäden, die durch die im Vertrag bestimmten Gefahren verursacht werden. Hier greift ein entscheidender Schutzmechanismus zugunsten des Versicherungsnehmers: Die Beweislast dafür, dass bestimmte Risiken vom Versicherungsschutz ausgeschlossen sind, trägt der Versicherer. Schäden, die nach einem Erdbeben oder Brand eintreten, werden rechtlich als gedeckt vermutet. Möchte der Versicherer die Zahlung verweigern, muss er mit konkreten und überzeugenden Beweisen nachweisen, dass der Schaden auf eine im Vertrag ausdrücklich und ausnahmsweise genannte Ausschlussklausel zurückzuführen ist (z. B. Vorsatz des Versicherungsnehmers, nukleare Risiken, behördliche Maßnahmen). Diese Regelung entlastet den Versicherungsnehmer von der schweren Beweislast, nachzuweisen, dass der Schaden nicht unter einen Ausschluss fällt, und korrigiert damit das Informations- und Machtungleichgewicht zwischen den Parteien zugunsten des Versicherungsnehmers.
1.2. Zentrale Pflichten und Obliegenheiten des Versicherungsnehmers
Der Versicherungsvertrag auferlegt dem Versicherungsnehmer ebenfalls eine Reihe von Pflichten („Obliegenheiten“). Die Nichterfüllung dieser Obliegenheiten kann zum teilweisen oder vollständigen Verlust des Anspruchs führen.
Prämienzahlungspflicht
Die Hauptpflicht des Versicherungsnehmers ist die fristgerechte und vollständige Zahlung der vereinbarten Prämie. Gerät der Versicherungsnehmer in Verzug, kann der Versicherer ihm eine Nachfrist setzen und, wenn die Prämie bis zum Ende dieser Frist nicht gezahlt wird, das Recht zur Vertragskündigung ausüben.
Schadenanzeigepflicht
Eine der wichtigsten Obliegenheiten des Versicherungsnehmers ist die unverzügliche Anzeige beim Versicherer, sobald er vom Eintritt des Risikos erfährt. Diese Pflicht ist eine Obliegenheit, keine eigentliche Vertragspflicht – d. h. ihre Nichterfüllung gibt dem Versicherer nicht das Recht zur Klage, gefährdet aber den Anspruch auf Entschädigung.
Bedeutung: Die Anzeige ermöglicht es dem Versicherer, Ursache und Umfang des Schadens schnell festzustellen, Maßnahmen zur Schadensminderung zu ergreifen, Beweise zu sichern und mögliche Regressrechte gegen Dritte zu wahren.
Fristen: In der Haftpflichtversicherung beträgt diese Frist gesetzlich zehn Tage ab Kenntnis des Ereignisses. In anderen Sachversicherungen ist die Frist in den Allgemeinen Bedingungen regelmäßig mit Formulierungen wie „unverzüglich“ oder „5 Werktage“ geregelt.
Rechtsfolgen: Nach Artikel 1446 TCC wird bei schuldhafter Verletzung die Entschädigung je nach Schwere des Verschuldens gekürzt, sofern die Verletzung den zu zahlenden Schadenersatz erhöht hat. Dieses Prinzip der „Kürzung der Entschädigung“ mildert die frühere harte Sanktion des vollständigen Anspruchsverlustes und schafft eine gerechtere Lösung zugunsten des Versicherungsnehmers.
Hier besteht ein subtiler rechtlicher Zusammenhang zwischen der Informationspflicht des Versicherers und der Schadenanzeigepflicht des Versicherungsnehmers: Gemäß Artikel 1423 TCC ist der Versicherer verpflichtet, die Rechte des Versicherungsnehmers und die besonders wichtigen Bestimmungen, wie z. B. die Fristen zur Schadenanzeige, klar hervorzuheben. Hat der Versicherer diese Pflicht vernachlässigt und der Versicherungsnehmer dadurch die Anzeige versäumt, kann argumentiert werden, dass dessen Verschulden vermindert oder sogar ausgeschlossen ist. Dies kann die Kürzung nach Artikel 1446 TCC beeinflussen oder verhindern – ein starkes rechtliches Argument zugunsten des Versicherungsnehmers.
Pflichten zur Schadensminderung und Informationsgabe
Nach Eintritt des Risikos ist der Versicherungsnehmer verpflichtet, angemessene Maßnahmen zur Verhinderung oder Verringerung einer Schadensausweitung zu ergreifen. Außerdem darf er gemäß Artikel 1471 TCC vor der Schadensfeststellung keine Veränderungen am Schadensort oder an den beschädigten Sachen vornehmen, die die Feststellung von Ursache oder Schadenshöhe erschweren oder unmöglich machen würden. Eine Verletzung dieser Pflicht kann zu Beweisschwierigkeiten führen und sich dadurch nachteilig auf die Entschädigung auswirken.
Kapitel 2: Die Zwangs-Erdbebenversicherung (DASK) und das Schadenverfahren
Die Zwangs-Erdbebenversicherung (DASK) wurde als finanzielles Schutzinstrument gegen das Erdbebenrisiko in der Türkei konzipiert und verfügt über einen eigenen besonderen Rechtsrahmen. Dieser Rahmen wird durch das Katastrophenversicherungsgesetz Nr. 6305 und die darauf beruhenden sekundären Rechtsvorschriften bestimmt. Die rechtliche Identität und Funktionsweise der DASK weist erhebliche Unterschiede zu privaten Versicherungen nach dem TCC auf.
2.1. Rechtsnatur und Rechtsgrundlage der DASK
Die DASK ist kein Kaufmann oder privates Versicherungsunternehmen im Sinne des TCC. Nach Artikel 3 des Katastrophenversicherungsgesetzes ist sie eine „juristische Person des öffentlichen Rechts“, die beim Finanz- und Schatzministerium eingerichtet wurde. Dieser Sonderstatus hat wichtige rechtliche Konsequenzen:
· Die DASK verfügt über finanzielle und rechtliche Privilegien; sie ist von sämtlichen Steuern, Abgaben und Gebühren befreit.
· Das Vermögen der Institution ist unpfändbar, zudem kann sie nicht in ein Insolvenzverfahren einbezogen werden.
Diese Regelung stellt eine entscheidende Garantie dar, um die finanzielle Nachhaltigkeit der Institution und ihre Fähigkeit zur Leistung von Entschädigungen im Falle einer Katastrophe großen Ausmaßes – wie dem Erdbeben von 1999 – zu sichern.
Hinsichtlich des anwendbaren Rechts gilt: Aufgrund ihres Status als juristische Person des öffentlichen Rechts unterliegt die DASK nicht unmittelbar dem Versicherungsrecht und den darauf beruhenden Vorschriften (z. B. der Verordnung über die Informationspflichten in Versicherungsverträgen). Ebenso finden die Vorschriften im Versicherungsrechtsteil des TCC auf die DASK keine unmittelbare Anwendung. Diese Vorschriften können nur analog herangezogen werden, wenn es in der speziellen DASK-Gesetzgebung (Katastrophenversicherungsgesetz und Allgemeine Bedingungen der Zwangs-Erdbebenversicherung) eine Regelungslücke gibt. Dies bedeutet: In Streitigkeiten mit der DASK müssen die rechtlichen Argumente in erster Linie auf das Gesetz Nr. 6305 und die einschlägigen Allgemeinen Bedingungen gestützt werden, nicht auf das TCC.
Diese „hybride“ Struktur der DASK – also eine öffentliche Institution, die dennoch einen privatrechtlichen Vertrag wie eine Versicherungspolice abschließt – führt in der Praxis zu gewissen rechtlichen Unsicherheiten. Grundsätzlich haben Verwaltungsgerichte für das Handeln und die Entscheidungen einer öffentlichen Institution die Zuständigkeit (Verfassung Art. 125). Streitigkeiten aus privatrechtlichen Verträgen fallen jedoch in die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte (Handelsgerichte). In der Praxis wird akzeptiert, dass Streitigkeiten über die Verpflichtung der DASK zur Zahlung von Entschädigungen vor den Handelsgerichten erster Instanz verhandelt werden und dass auch Anträge an die Versicherungs-Schiedsstelle möglich sind. Dieses doppelte System führt jedoch zu rechtlichen Diskussionen darüber, inwieweit Grundsätze wie das „Handeln eines ordentlichen Kaufmanns“ (TCC Art. 18/2) oder der „Verbraucherschutz“ auf die DASK anwendbar sind.
2.2. Umfang und Grenzen der DASK-Police
Eine DASK-Police bietet einen spezifischen und klar umrissenen Versicherungsschutz.
· Deckungsumfang: Versichert sind direkte Sachschäden, die durch ein Erdbeben sowie durch Feuer, Explosion, Tsunami oder Erdrutsch infolge eines Erdbebens entstehen, an den baulichen und ergänzenden Elementen des versicherten Gebäudes – wie Fundament, Hauptwände, Trennwände zwischen unabhängigen Einheiten, Decken und Böden, Treppen, Dächer und Schornsteine.
· Ausschlüsse: Der Versicherungsschutz der DASK ist relativ eng gefasst und deckt folgende Schäden nicht ab:
o Indirekte Schäden: z. B. Aufräumkosten, Gewinnverlust, Betriebsunterbrechung, Mietausfall und Kosten für Ersatzunterkünfte.
o Bewegliches Vermögen: Möbel, Maschinen oder Handelswaren im Wohn- oder Geschäftsraum.
o Personenschäden: Tod oder Verletzungen infolge eines Erdbebens sowie immaterielle Schadensersatzforderungen (Schmerzensgeld).
· Höchstentschädigungsgrenze: Die DASK arbeitet mit einer Obergrenze, die ihre Gesamthaftung pro Risiko beschränkt. Diese Grenze wird jährlich vom Finanz- und Schatzministerium angepasst. Für das Jahr 2023 wurde sie auf 640.000 TL festgelegt. Die Entschädigung wird berechnet, indem die Bruttogrundfläche der beschädigten Immobilie mit den für das Jahr festgelegten Baukosten pro Quadratmeter multipliziert wird – das Ergebnis darf jedoch in keinem Fall die festgelegte Höchstgrenze überschreiten.
Diese Einschränkungen verdeutlichen, dass die DASK allein keinen vollständigen Schutz bietet. Sie stellt lediglich eine Basisgarantie dar und deckt keineswegs den vollen Umfang der tatsächlich möglichen Schäden eines Erdbebens ab. Besonders erhebliche finanzielle Aufwendungen – wie Schäden am Hausrat, Mietausfälle oder der Wertunterschied, wenn der tatsächliche Marktwert des Gebäudes die DASK-Grenze übersteigt – schaffen für den Versicherungsnehmer eine ernsthafte „Schutzlücke“. Um diese Lücke zu schließen, ist es unerlässlich, die DASK-Police mit einer freiwilligen Wohngebäudeversicherung zu ergänzen, die diese zusätzlichen Deckungen bietet. Folglich sind DASK und private Wohngebäudeversicherung keine Alternativen, sondern untrennbare und einander ergänzende Bestandteile einer integrierten Risikomanagementstrategie.
2.3. Schadenmeldung und Regulierung bei der DASK
Die Schritte zur Geltendmachung von Entschädigungen aus der DASK nach einem Erdbeben sind wie folgt:
· Schadenmeldung: Anspruchsberechtigte, die vom Eintritt des Risikos erfahren, müssen die DASK innerhalb einer angemessenen Frist benachrichtigen. Dies kann über das Callcenter Alo DASK 125, über das e-Devlet-System oder über die Online-Schadenmeldung auf der offiziellen Website der DASK erfolgen.
· Erforderliche Angaben und Unterlagen: Bei der Meldung werden die T.C.-Identitätsnummer, die DASK-Policennummer, die vollständige Adresse der beschädigten Immobilie (für die Erreichbarkeit des Sachverständigen), Grundbuchdaten sowie die Bankverbindung für die Auszahlung verlangt.
· Schadensfeststellung: Nach der Meldung beauftragt die DASK unabhängige Gutachter (Sachverständige), die den Schaden vor Ort begutachten und ein Gutachten erstellen. Ziel dieser Begutachtung ist nicht die Prüfung der Erdbebensicherheit des Gebäudes, sondern die Feststellung des Umfangs und der Art der durch das aktuelle Erdbeben verursachten Schäden.
· Berechnung und Zahlung der Entschädigung:
o Berechnungsmethode: Die Entschädigung wird nach den Neubaukosten des Gebäudes zum Zeitpunkt des Schadenseintritts berechnet; sie darf jedoch den in der Police festgelegten Versicherungsbetrag nicht überschreiten.
o Selbstbehalt: Bei DASK-Zahlungen gilt ein Selbstbehalt von 2 % der Versicherungssumme pro Schadenfall. Liegt der Schaden unterhalb dieser Grenze, erfolgt keine Zahlung.
o Auszahlungsfrist und -weise: Sobald die Schadensbegutachtung abgeschlossen und die Höhe der Entschädigung festgelegt ist, erfolgt die Zahlung in der Regel innerhalb eines Monats. Die Entschädigung kann in bar bei jeder Vakıfbank-Filiale gegen Vorlage der T.C.-Nummer und eines an das Mobiltelefon des Anspruchsberechtigten gesendeten Passworts abgerufen werden.
Kapitel 3: Freiwillige Sachversicherung (Wohnung und Feuer) und das Schadenverfahren
Freiwillige Sachversicherungen haben das Potenzial, einen wesentlich umfassenderen Schutz zu bieten, indem sie die von der DASK hinterlassenen Deckungslücken schließen. Da sie dem Regime des TCC (türkisches Handelsgesetzbuch) unterliegen, weisen diese Versicherungen eine flexible Struktur auf, die an die spezifischen Bedürfnisse des Versicherungsnehmers angepasst werden kann.
3.1. Die ergänzende Rolle der Wohngebäudeversicherung zur DASK
Private Wohngebäudeversicherungen gehen über den grundlegenden Gebäudeschutz der DASK hinaus und bieten dem Versicherungsnehmer einen wesentlich breiteren Schutzschirm. Anders als bei der DASK ist es durch besondere Bedingungen (Klauseln), die in private Wohngebäudeversicherungen aufgenommen werden können, möglich, auch Schäden an Hausrat, Mietausfälle, Aufräumkosten, Kosten für alternative Unterkünfte und sogar Schäden an Nachbargebäuden oder Dritten (z. B. Feuerhaftpflicht) infolge eines Erdbebens abzudecken.
Darüber hinaus kann, wenn die Wiederaufbaukosten oder der Marktwert einer Wohnung die von der DASK für das jeweilige Jahr festgelegte Höchstentschädigungsgrenze (z. B. 640.000 TL) übersteigen, dieser Differenzbetrag mit einer privaten Wohngebäudeversicherung als „Exzedentenversicherung“ abgesichert werden. Auf diese Weise hat der Versicherungsnehmer im Falle eines Totalschadens die Möglichkeit, eine Entschädigung zu erhalten, die dem tatsächlichen Wert seiner Immobilie nahekommt.
3.2. Rechtliche Besonderheiten der Feuerversicherung
Das Risiko „Feuer“ kann sowohl durch Naturereignisse (Blitzeinschlag, Ausbreitung eines Waldbrandes) als auch durch menschliches Verhalten entstehen und bringt im Schadenprozess eigene rechtliche Probleme mit sich.
· Feststellung und Nachweis der Brandursache:
Eine der entscheidendsten Phasen im Entschädigungsverfahren ist die Klärung der Brandursache. Der von der Feuerwehr vor Ort erstellte Bericht, der die wahrscheinliche Ursache, den Ausgangspunkt und die Ausbreitung des Feuers enthält, stellt hierfür ein wichtiges Beweismittel dar. Allerdings ist dieser Bericht kein bindendes Beweismittel für das Gericht, sondern hat nur indiziellen Charakter. Die Parteien haben das Recht, den Feuerwehrbericht mit privaten Sachverständigengutachten oder anderen Beweismitteln zu widerlegen.
· Auswirkungen des Verschuldens des Versicherungsnehmers auf die Entschädigung:
o Vorsatz: Verursacht der Versicherungsnehmer oder eine ihm rechtlich zuzurechnende Person (z. B. ein mit ihm zusammenlebendes Familienmitglied) den Schadenseintritt absichtlich, d. h. wissentlich und willentlich, ist der Versicherer vollständig von seiner Leistungspflicht befreit.
o Fahrlässigkeit (grobe Fahrlässigkeit): Artikel 1429 TCC enthält eine wichtige Bestimmung zum Schutz des Versicherungsnehmers. Demnach ist der Versicherer – sofern der Vertrag nichts anderes bestimmt – verpflichtet, Schäden zu ersetzen, die durch Fahrlässigkeit des Versicherungsnehmers oder des Begünstigten verursacht wurden. Dies bedeutet, dass einfache Fahrlässigkeit (z. B. das eingeschaltete Bügeleisen vergessen) vom Versicherungsschutz umfasst ist. Allerdings können Policen besondere Bedingungen enthalten, die „grobe Fahrlässigkeit“ vom Schutz ausschließen. Ob ein Verhalten als einfache oder grobe Fahrlässigkeit einzustufen ist, entscheidet das Gericht je nach den Umständen des Einzelfalls. Die Beweislast dafür, dass der Schaden auf eine nicht gedeckte grobe Fahrlässigkeit zurückzuführen ist, liegt stets beim Versicherer.
3.3. Schadenanzeige und -abwicklung in der freiwilligen Versicherung
Das Schadenverfahren in diesen Versicherungen unterliegt den allgemeinen Grundsätzen des TCC, wie sie bereits in Kapitel 1 erläutert wurden. Besondere Bedeutung kommt jedoch der Rolle und der rechtlichen Stellung des Versicherungssachverständigen in diesem Prozess zu.
· Rolle und Unparteilichkeit des Versicherungssachverständigen:
Die Feststellung von Schadensursache und -höhe erfolgt in der Regel durch einen vom Versicherer beauftragten Versicherungssachverständigen. Artikel 22 des Versicherungsgesetzes Nr. 5684 definiert jedoch eindeutig den Status und die Pflichten des Sachverständigen. Absatz 13 dieses Artikels schreibt zwingend vor, dass der Versicherungssachverständige „unparteiisch sein muss“. Besteht zwischen dem Sachverständigen und einer Partei ein Verhältnis, das seine Unparteilichkeit beeinträchtigen könnte (Verwandtschaft, geschäftliche Beziehungen usw.), darf er diese Aufgabe nicht übernehmen. Ein Verstoß gegen dieses Prinzip hat eine schwerwiegende rechtliche Folge: Gutachten, die unter Verletzung des Unparteilichkeitsgrundsatzes erstellt wurden, sind rechtlich „nichtig“.
· Einspruch gegen das Gutachten:
Stimmt der Versicherungsnehmer mit den Feststellungen und dem Bericht des vom Versicherer bestellten Sachverständigen nicht überein, hat er das Recht, in das Verfahren einzugreifen. Nach den allgemeinen Versicherungsbedingungen kann er auf eigene Kosten einen unabhängigen Sachverständigen beauftragen. Kommt es zu einem Widerspruch zwischen den beiden Gutachten, wird die Angelegenheit schließlich durch einen vom Gericht oder von der Versicherungs-Schiedsstelle bestellten Sachverständigen entschieden.
Die gesetzliche Regelung zur „Nichtigkeit eines Gutachtens bei Verstoß gegen die Unparteilichkeit“ ist nicht nur eine Schutzmaßnahme für den Versicherungsnehmer, sondern auch ein aktives juristisches Instrument im Prozessmanagement. Der Versicherungsnehmer kann die Unparteilichkeit des Sachverständigen z. B. mit der Begründung anfechten, dass dieser regelmäßig für dieselbe Versicherung tätig ist oder gegenüber dem Schaden eine deutlich abwertende Haltung zeigt. Eine solche Rüge stärkt das Argument, dass das Gutachten nichtig ist und das Entschädigungsangebot des Versicherers daher keine Rechtsgrundlage hat. Wird dies im Prozess oder Schiedsverfahren geltend gemacht, kann dies den Versicherer dazu bewegen, auf einer faireren Vergleichsbasis zu verhandeln, anstatt das Risiko einzugehen, dass das Gutachten für nichtig erklärt und ein neuer Sachverständiger vom Gericht bestellt wird.
Kapitel 4: Streitigkeiten im Schadenprozess und Methoden der Streitbeilegung
Versicherungsanspruchsverfahren sind von Natur aus konfliktträchtig, da zwischen den Parteien in vielen Fragen Uneinigkeit entstehen kann. Die Gesetzgebung eröffnet verschiedene rechtliche Wege zur Beilegung dieser Streitigkeiten.
4.1. Häufig auftretende Streitpunkte
Eine der häufigsten Streitursachen ist die zu niedrige Berechnung der Entschädigung. Dies kann sich aus einer Differenz zwischen dem vom Gutachter des Versicherers festgestellten Schaden und dem tatsächlichen Verlust des Versicherungsnehmers ergeben, aus einer unvollständigen Berechnung der Wiederaufbaukosten oder aus der Anwendung überhöhter Abschreibungssätze.
Ein weiterer Streitpunkt ist die Zahlungsverweigerung des Versicherers, mit der Begründung, dass der Schaden unter eine Ausschlussklausel der Police falle (z. B. bestehende Baumängel, Herstellungsfehler, grobe Fahrlässigkeit des Versicherungsnehmers). Ebenso häufig behauptet der Versicherer, der Schaden sei durch eine andere Ursache als das in der Police gedeckte Risiko (z. B. Erdbeben, Feuer) entstanden. In solchen Fällen liegt die Beweislast grundsätzlich beim Versicherer, der diese Behauptung aufstellt.
4.2. Streitbeilegungsmechanismus: Der Klageweg
Kann der Streit nicht zwischen den Parteien gelöst werden, ist der traditionelle Weg die Klage vor Gericht.
Sachlich zuständiges Gericht: Da Versicherungsverträge Handelsgeschäfte darstellen, ist für Klagen auf Schadensersatz aus diesen Verträgen das Handelsgericht erster Instanz zuständig.
Örtliche Zuständigkeit: Das Gesetz räumt dem Versicherungsnehmer ein Wahlrecht ein. Die Klage kann entweder am Sitz der beklagten Versicherungsgesellschaft oder der DASK oder am Gericht des Ortes, an dem das Risiko eingetreten ist (Ort der Katastrophe), erhoben werden.
Obligatorische Mediation als Prozessvoraussetzung: Mit dem Gesetz Nr. 7155 wurde die Pflicht eingeführt, vor Klageerhebung ein Mediationsverfahren einzuleiten, wenn es sich um Handelssachen handelt, deren Gegenstand die Zahlung einer Geldsumme ist. Kommt keine Einigung zustande, muss der abschließende Mediationsbericht der Klageschrift beigefügt werden.
4.3. Alternative Streitbeilegung: Die Versicherungs-Schiedsstelle
Die nach dem Versicherungsgesetz Nr. 5684 eingerichtete Versicherungs-Schiedsstelle bietet eine schnellere und kostengünstigere Alternative zum Gerichtsverfahren.
Die wesentlichen Vorteile des Schiedswegs sind:
wesentlich kürzere Dauer (durchschnittlich 4–6 Monate),
geringere Verfahrenskosten,
Entscheidungen durch Schiedsrichter, die Experten im Versicherungsrecht sind.
Verfahrensablauf:
Zunächst muss der Versicherungsnehmer schriftlich bei der Versicherungsgesellschaft Beschwerde eingelegt haben. Wird diese ganz oder teilweise abgelehnt oder erfolgt innerhalb von 15 Werktagen keine Antwort, kann ein Antrag bei der Schiedsstelle gestellt werden.
Für den Antrag sind erforderlich: das Antragsformular, eine Klageschrift mit Darstellung des Streitfalls, Beweismittel und der Zahlungsbeleg für die Antragsgebühr.
Die Akte wird zunächst von einem Berichterstatter geprüft. Nicht gelöste Fälle werden je nach Streitwert einem einzelnen Schiedsrichter oder einem Schiedsrichterkollegium von mindestens drei Mitgliedern zugewiesen.
Die Schiedsrichter entscheiden in der Regel nach Aktenlage und müssen innerhalb von höchstens 4 Monaten ein Urteil fällen.
Die Entscheidungen der Schiedsrichter haben die Qualität eines gerichtlichen Urteils und können unmittelbar vollstreckt werden.
Strategische Überlegungen:
Für den Versicherungsnehmer ist die Wahl zwischen Klage und Schiedsverfahren nicht nur eine Frage von Zeit und Kosten, sondern auch eine strategische Entscheidung, abhängig von Art des Streits und Beweislage.
Bei komplexen rechtlichen Fragen (z. B. Wirksamkeit einer Vertragsklausel) kann eine gerichtliche Entscheidung, die als Präzedenzfall dienen und von höheren Instanzen überprüft werden kann, vorteilhaft sein.
Bei rein technischen Fragen (z. B. Schadenshöhe) kann die Schiedsstelle, mit Fachschiedsrichtern und effizienteren Gutachterverfahren, eine effektivere Lösung darstellen.
Es gibt daher keine allgemeine Antwort auf die Frage „welcher Weg ist besser?“ – vielmehr lautet die richtige Frage: „Welcher Weg ist für diesen konkreten Fall strategisch sinnvoller?“
Rechtsmittel gegen Entscheidungen – Streitwertgrenzen (Stand 2025):
Endgültige Entscheidungen
bis 28.000 TL
Entscheidung ist endgültig, keine Anfechtung möglich
Einspruchsrecht
ab 28.000 TL
Einspruch beim Einspruchsschiedsgericht innerhalb von 10 Tagen
Obligatorisches Kollegialorgan
ab 96.000 TL
Streitfall muss von einem Kollegium mit mind. 3 Mitgliedern entschieden werden
Revisionsrecht (Yargıtay)
ab 300.000 TL
Revision zum Kassationshof (Yargıtay) nach Entscheidung des Einspruchsschiedsgerichts möglich
4.4. Verjährungs- und Ausschlussfristen
Um den Verlust von Ansprüchen zu vermeiden, ist die sorgfältige Beachtung der Verjährungsfristen von entscheidender Bedeutung.
Allgemeine Regel (Art. 1420 TCC): Ansprüche aus einem Versicherungsvertrag verjähren in zwei Jahren ab Fälligkeit (Zeitpunkt, zu dem die Entschädigung verlangt werden kann). Der Beginn dieser Frist setzt nach der Schadenanzeige und Ablauf einer angemessenen Prüfungsfrist für den Versicherer ein. Spätestens endet sie jedoch zehn Jahre nach Eintritt des Risikos.
DASK-Verjährung: Nach den Allgemeinen Bedingungen der Zwangs-Erdbebenversicherung verjähren Ansprüche zwei Jahre nach Eintritt des Risikos.
Haftpflichtversicherung (Art. 1482 TCC): Hier gilt eine längere Verjährungsfrist: 10 Jahre ab Eintritt des Versicherungsfalls. Diese Frist gilt auch für das Klagerecht geschädigter Dritter direkt gegen den Versicherer.
Unterbrechung und Hemmung der Verjährung:
Unterbrechung: Die Erhebung einer Klage, die Einleitung eines Vollstreckungsverfahrens oder ein Antrag bei der Schiedsstelle unterbricht die Verjährung. Die Frist beginnt dann neu zu laufen.
Hemmung: Ein Mediationsverfahren hemmt die Verjährung bis zum Datum des Abschlussberichts. Danach läuft die Frist weiter. Auch die schriftliche Antragstellung beim Versicherer wird insbesondere in Pflichtversicherungen als Hemmungsgrund anerkannt.
Fazit und Bewertung
Das Versicherungsanspruchsverfahren nach Naturkatastrophen ist ein mehrstufiger, technisch-juristischer Prozess, der mit der Schadenmeldung beginnt, über die Schadensfeststellung weiterläuft und schließlich in der Auszahlung oder Streitbeilegung endet. Damit dieser Prozess gesund funktioniert, ist es unabdingbar, dass sowohl Versicherer als auch Versicherungsnehmer ihre Rechte und Pflichten aus Gesetz und Vertrag kennen.
Die wichtigste Erkenntnis dieser Analyse ist, dass die Katastrophenversicherung in der Türkei eine duale Struktur aufweist:
· einerseits die DASK, geregelt durch das Gesetz Nr. 6305 und unter einem besonderen öffentlich-rechtlichen Regime stehend,
· andererseits die privaten Versicherungen, die im Rahmen des Handelsgesetzbuches Nr. 6102 agieren.
Während die DASK eine Basissicherheit für das Gebäude bietet, können wesentliche Risiken – wie Schäden am Hausrat, Mietausfälle oder der Teil des Gebäudewertes, der die DASK-Höchstgrenze übersteigt – nur durch freiwillige Wohngebäudeversicherungen abgedeckt werden. Diese beiden Versicherungsarten stehen also nicht in Konkurrenz, sondern sind komplementäre Elemente eines ganzheitlichen Risikomanagements.
Praktische Handlungsempfehlungen für Versicherungsnehmer:
· Bewusste Policenwahl: Versicherungsbedingungen und Allgemeine Bedingungen sollten sorgfältig geprüft werden; der Versicherer muss vollständige und verständliche Informationen über Deckungsumfang und Ausschlüsse geben.
· Fristgerechte und ordnungsgemäße Schadenanzeige: Nach einer Katastrophe sollte der Schaden unbedingt innerhalb der in Gesetz und Police vorgesehenen Fristen gemeldet werden – am besten schriftlich oder in nachweisbarer Form (E-Mail, Einschreiben, Online-Antrag).
· Aktive Prozessbegleitung: Der Versicherungsnehmer sollte die Begutachtung begleiten, eigene Beweise (Fotos, Videos, Rechnungen usw.) vorlegen und eine Kopie des Gutachtens verlangen. Zudem sollte er sein Recht auf Widerspruch und die Bestellung eines eigenen Sachverständigen kennen und nutzen.
· Beachtung der Verjährungsfristen: Die gesetzlich vorgesehenen Fristen von zwei und zehn Jahren müssen genau überwacht und rechtzeitig rechtliche Schritte eingeleitet werden, bevor Ausschlussfristen ablaufen.
· Professionelle Unterstützung: Im Streitfall sollte strategisch überlegt werden, ob der Gerichtsweg oder das Schiedsverfahren vorteilhafter ist. Eine Beratung durch einen auf Versicherungsrecht spezialisierten Juristen ist in jedem Fall ratsam.
Zukunftsperspektive
Angesichts der extremen Wetterereignisse durch den Klimawandel und der Erdbebenrealität der Türkei ist es eine Notwendigkeit, die Versicherungsgesetzgebung und Institutionen wie die DASK kontinuierlich zu modernisieren und zu stärken.
Insbesondere Reformen wie:
· die Klarstellung rechtlicher Unsicherheiten im Regime der DASK,
· sowie die Anhebung der Entschädigungsgrenzen auf ein Niveau, das näher an den realen Marktwerten der Gebäude liegt,
werden eine entscheidende Rolle dabei spielen, die wirtschaftlichen und sozialen Wunden künftiger Katastrophen wirksamer zu heilen.